Mallorca Magazin: Nach dem Film Festival Cologne hat der „Tatort: Colonius” am 1. November Vorpremiere beim Evolution Mallorca International Film Festival. 2025 wird er dann in der ARD ausgestrahlt. Was hat der Film mit den frühen 1990er Jahren zu tun?Dietmar Bär: Die Beziehung zu heute ist ein Cold Case, auf den das Ermittlerteam durch eine Leiche kommt. Freddy Schenk kennt den toten Mann, einen Fotografen. Er erinnert ihn an einen Fall 1993, am Tag der letzten Techno-Party im Colonius, dem Fernsehturm von Köln. Damals war Schenk Kommissar beim KDD (Kriminaldauerdienst; Anm. d. Red.). An Ballauf, wie er sagt, „haben wir noch nicht gedacht”. Er trat ja erst 1997 in das Kölner Leben ein. Der Reiz an dem „Tatort” war auch die Aufgabe für die Regisseurin Charlotte Rolfes und den Kameramann Rainer Lipski, Bilder zu schaffen, die die Stimmung dieser Zeit aufkommen lassen, mit einem wunderbaren jungen Ensemble, das uns bei den Ermittlungen dann 30 Jahre älter im Büro begegnet.
MM: Haben Sie Retro-Gefühle bekommen?
Bär: Mein Retro-Gefühl hielt sich in Grenzen, weil Techno damals für mich synthetischer Lärm war. Klar, wenn man sich damit auseinandersetzt, ist das Musik, die Leute abholt und über Stunden in die Trance bringt, zu tanzen. Es ist einfach eine andere Welt, und natürlich begegnet sie einem dann nochmal. Und wir haben etwas ganz Raffiniertes gemacht, indem wir Schenk nicht nur erzählen lassen, dass er damals in einem Fall um ein ausgebranntes Auto da war, sondern wir haben es geschafft, ihn in die Bilder laufen zu lassen. Man sieht mich nicht komplett, sondern erkennt Versatzstücke und sieht die Cowboy-stiefel, die am Anfang unserer „Tatort”-Zeit eine Legende wurden. Ich habe sie aus technischen und physischen Gründen schnell wieder ausgezogen, aber sie sind den Leuten noch bekannt.
MM: Wie war das, auf dem Colonius zu drehen, der seit 25 Jahren leersteht?
Bär: Ich habe schon einmal 2000 für einen Film einen ganzen Tag da oben verbracht. Da hatte ich einen Radiomacher gespielt, der ziemlich safe über der von der Pest befallenen Stadt Köln saß. Und es war großartig für mich, nach so vielen Jahren wieder da oben zu stehen. Man begreift die Stadt anders und sieht sie aus einem neuen Blickwinkel. Mit den Leuten von der Telekom, die den Fernsehturm bewirtschaften und warten, bin ich auch in die Katakomben gestiegen, die man sonst nicht zu sehen bekommen würde. Es ist in meinem Beruf immer wieder faszinierend, an spannende Orte zu kommen.
MM: Gibt es Orte, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Bär: Über einen sprechen wir gerade. Ein anderer, da greife ich in die Zukunft, ist die Kölner Oper, wo wir gerade gedreht haben, sowohl in der Interimsspielstätte Staatenhaus, als auch in der historischen alten Oper, die immer noch vom Allerfeinsten restauriert wird. Ansonsten, wo wir gerade hier sitzen: Ich habe vor Jahren für den WDR vier Fernsehspiele als Sportarzt Conny Knipper gemacht. Beim ersten Film hatte ich meinen ersten Aufenthalt auf Mallorca. Ich weiß nicht, wo wir da waren. Das war hinfahren, zwei, drei Aufnahmen machen und wieder zurückkommen. Und beim vierten und letzten Film dieser Reihe haben wir die ganze Nacht in der Altstadt von Palma verbracht. Das war 1995. Unser „Tatort” Nummer vier war auch ein sehr wichtiger Film. Es ging um Sextourismus auf den Philippinen. Klaus J. Behrendt, ich, Joe Bausch und andere gründeten daraufhin in Köln den Verein „Tatort – Straßen der Welt”, der sich bis heute für die Rechte von Kindern einsetzt. Er ist ein Baustein der Historie des „Tatort” Köln in der Zeit von Klaus und mir. Und in den Slums von Manila zu drehen, bleibt natürlich für immer in Erinnerung.
MM: Wie lange wurde für „Colonius” gedreht?
Bär: Wir haben uns darum gekümmert, dass wir für jeden „Tatort” Köln 23 Drehtage haben – andere müssen schon längst mit 20, 21 oder 22 Tagen auskommen. Das erscheint uns wichtig, um die Qualität zu halten. Das funktioniert immer noch ganz gut, auch wenn es aufwendige Filme wie „Colonius” sind, wo Sie einen großen Nebenstrang haben. Dazu kam der Aufwand, den das Team hatte. Von zwei Aufzügen ist einer stillgelegt. Das ganze Material da hochzubringen, vom Kaffeebecher bis zu Rainer Lipskis Kamera, war ein logistischer Aufwand. Wir haben dann auch die Mittagspause da oben gemacht und das Catering wurde hochgebracht, um die verbleibende Zeit zu arbeiten. Das Gute war, dass man da oben die Bilder von der letzten Techno-Nacht toll drehen konnte. Die beobachtende Öffentlichkeit fragte sich natürlich, was da los ist. Die Zeitungen haben es dann aufgeklärt
MM: Drei Tatorte im Jahr, und das seit 27 Jahren: Wir präsent ist die Reihe in Ihrem Leben?Bär: Ich nehme keine Rolle mit nach Hause. Ich kann das als Arbeit betrachten. Das Spannende ist natürlich, dass man mit der Rolle altert, sich verändert. Auch die Ansprüche verändern sich. Es gibt neue Erzählweisen, doppelte Böden, verschiedene Zeitebenen, und alles ist psychologischer geworden. Es kommt auch eine neue Generation von Regisseuren und Regisseurinnen. Charlotte Rolfes, jetzt „Colonius” und letztes Jahr „Pyramide”, ist ein Beispiel dafür, anders zu erzählen. Und das ist das Tolle. Wir machen immer wieder eine neue Farbe auf und erzählen anders. Ein Film von 1998 oder 2002 hatte eine völlig andere Dynamik als alles, was wir jetzt drehen.
MM: Wie präsent ist Freddy Schenk, wenn Dietmar Bär durch die Straßen geht?
Bär: Der „Tatort” ist und bleibt das älteste und beliebteste und berühmteste Format, das wir im deutschen Fernsehen haben. Du hast natürlich deine neun bis zehn Millionen Zuschauer an einem Sonntag, wenn Premiere ist. Aber wir haben nur drei Premieren im Jahr. Die Präsenz ist eher da, weil wir in den dritten Programmen seit einigen Jahren Wiederholungsangebote aus dem großen Archiv seit 1970 haben. Und man merkt schon, dass die Zuschauer näher an einen rankommen und einen wahrnehmen. Aber ich muss sagen, dass ich auf Mallorca nach fünf Tagen den ersten freundlichen Angriff in Sóller hatte. Jemand fragte mich: „Können wir ein Foto machen?” Ich sagte rigoros freundlich: „Nee, Sie sind im Urlaub, ich bin im Urlaub, ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit.” Ich bin ja hier, um mich zu entspannen.
MM: Werden Sie dabei sein, wenn bei Evolution Mallorca „Colonius” läuft?
Bär: Es ist so schade, dass ich dann schon wieder in Deutschland bin. Ich habe ab 2. November Vorstellungen mit dem Rilke-Projekt in Deutschland, und es wäre mir professionell gesehen zu riskant gewesen, am 1. November noch einmal auf Mallorca aufzuschlagen. Deshalb habe ich gedacht, ich komme euch wenigstens mit einem Interview entgegen.