Das Violinkonzert von Alban Berg ist fürwahr kein Stück, das man zum Fünfuhrtee am offenen Kamin in den CD-Player schiebt, sich behaglich zurücklehnt und in Wohlklang schwelgt. Überhaupt gehört es eher in den Konzertsaal als ins heimische Wohnzimmer, und auch dort hat es wenig mit kulinarisch-komfortablem Genießen zu tun. Berg schrieb es getreu der Maxime seines Lehrers Arnold Schönberg, „Kunst komme nicht von Können, sondern vom Müssen«.
Das ist keine Absage an die kunstfertige Beherrschung des Handwerklichen, das nach wie vor die Grundlage jeder künstlerischen Äußerung bleibt, sondern meint die innere Notwendigkeit, sich mit den kompositorischen Mitteln der Zeit, in der Sprache der Gegenwart mitzuteilen. Die Sprache war Mitte der 30er Jahre die Zwölftonmusik, ihr Anliegen, expressionistisch, mit neuen Harmonien und formalen Strukturen Gedanken und Emotionen auszudrücken. Fürs Publikum bedeutet das, sich vom passiv-kulinarischen Genießen zu verabschieden. Es erfordert einen Hörer, der bereit ist, sich auf das Ungewohnte, das Neue einzulassen. Damit das gelingt, braucht es Musiker, die mit innerem Engagement an die Grenzen ihrer Ausdrucksfähigkeit gehen. Mit dem Geiger Sergei Dogadin, Pablo Mielgo und den Sinfonikern standen gestern Abend Künstler auf der Bühne des Auditoriums, die diesem Anspruch umfassend gerecht wurden. Dogadin ließ mit markantem Ton atmosphärische Welten entstehen. Das groß besetzte Orchester zeichnete ein klanggewaltiges Bild innerer Zerrissenheit, malte emotionale Katastrophen und schuf ein Szenario heftiger Kämpfe. Dabei blieb das musikalische Geschehen stets transparent. Großer Beifall belohnte die Leistung von Solist, Dirigent und Orchester, der sich nach der Zugabe, in der Dogadin noch einmal alle Register seines enormen technischen Könnens zog, zum Orkan steigerte.
„Die Sinfonie hat unter uns gewirkt wie keine seit den Beethovenschen noch« schrieb Robert Schumann nach der posthumen Uraufführung von Schuberts großen C-dur-Sinfonie. Pablo Mielgo ließ diese Nähe zu Beethoven gestern Abend spürbar werden. Der feurige Geist des klassischen Revolutionärs schlug bereits im 1.Satz Funken. Schon die Wahl des Tempos machte in jedem Takt klar, dass es hier nicht um romantische Naturlyrik ging, wie sie die „großen Alten«, allen voran Sergio Celibidache mit seinen schon fast quälend breiten Tempi, suggerierten; revolutionärer Drive bestimmte diese Interpretation, markante Paukenweirbel bei der Wiederkehr des Hauptthemas im Forte setzten die Zeichen auf Dramatik. In der Coda noch einmal eine rasante Steigerung, die auch im letzten Takt nicht durch das oft praktizierte Ritardando gebremst wurde. – Das vielfach als gemächliches Schreiten daherkommende Wandermotiv zu Beginn des 2.Satzes hatte etwas Vorwärtsdrängendes (das dann allerdings im weiteren Satzverlauf kaum noch eine Steigerung zuließ). Die großartigen Streicher der Sinfoniker vermieden jeden Anklang an süßliche Lieblichkeit. Markig kontrastierten sie zu den fulminant aufspielenden Bläsern, Flöten und Oboen erblühten in herber Schönheit. Das Blech setzte Akzente, die in vielen Interpretationen oft untergehen, ohne dabei unangemessen aus dem Gesamtklang auszuscheren. Den hatte Mielgo stets sicher im Griff. Das Scherzo hatte Beethovenschen Furor (der hatte ja dritte Sätze stets dazu genutzt, sich „auszutoben«!). Das Finale schließlich geriet zu einem orchestralen Bravourstück. Am Schluss sah man einen glücklichen Chefdirigenten den wohlverdienten Applaus entgegennehmen, den er gern an seine Truppe weitergab. Die hatte einmal mehr gezeigt, dass er sich zu hundert Prozent auf sie verlassen kann.
Das zweite Abokonzert der Saison findet am 14.Dezember statt. Der Stargeiger Gidon Kremer spielt die spanische Erstaufführung des Violinkonzerts von V.Kissine, am Pult steht wieder Pablo Mielgo, der unter anderem Werke von Albéniz und Turina dirigieren wird. Karten und das genaue Programm gibt’s hier. Bei diesem Konzert können sich Abonnenten auch ihr diesjähriges Treuegeschenk abholen: Freikarten zum Weihnachtskonzert am 20.12. in der Kathedrale mit Händels „Messias«.